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Argentinien

Aus­rei­se­rin

Die Rei­se aus­ge­rech­net nach Sant­ia­go de Chi­le hat­te meh­re­re Vor­tei­le: Ich konn­te mein 90-Tage-Tou­ris­ten­vi­sum für Argen­ti­ni­en erneu­ern und lern­te die Fami­lie eines Freun­des ken­nen, denn bei ihr ver­brach­te ich die paar Tage in der 5‑Mil­lio­nen-Haupt­stadt.

Schon die Hin­fahrt war mal wie­der ein beson­de­res Erleb­nis. Auf der Land­kar­te scheint die Stre­cke gar nicht so lang, aber man fährt zunächst ein­mal von Tucumán nach Men­do­za – 12 Stun­den im Nacht­bus – und danach sind es von Men­do­za nach Sant­ia­go immer noch 6 Stun­den quer über die Anden.

Für ein paar Euren mehr habe ich mich in die Ers­te Klas­se des Nach­bus­ses ein­ge­bucht. Wer sich die First Class im Flug­zeug nicht leis­ten kann, soll­te das auch mal aus­pro­bie­ren, denn schlech­ter als im Flie­ger war es mit Sicher­heit nicht. Wir wur­den von oben bis unten betü­delt, man zeig­te wie­der Fil­me, zum Abend­essen gab es ein Drei-Gän­ge-Menü mit Sekt und Wein. Und auf den best­ge­pols­ter­ten Sit­zen der Welt, die sich fast waag­recht aus­klap­pen las­sen, schläft es sich sogar ver­hält­nis­mä­ßig angenehm.

Fährt man von Men­do­za nach Chi­le, muss man auf 2200 m Höhe am Grenz­über­gang „Los Libert­ado­res” vor­bei. Das ist einer der unan­ge­nehms­ten Arbeits­or­te für Grenz­be­am­te, und auf­grund der Höhe, der Käl­te und der Abge­schie­den­heit sind sie dort immer nur einen Monat sta­tio­niert. Bei der Ein­rei­se nach Chi­le müs­sen übri­gens stren­ge Ein­fuhr­be­stim­mun­gen beach­tet wer­den, denn es gibt dort kei­ne Frucht­flie­gen, und das soll dank Ein­fuhr­ver­bot von orga­ni­schen Mate­ria­li­en (Äpfel, Tee, Was­ser, Holz, usw.) auch so bleiben.

Der Name „Los Libert­ado­res” (Die Befrei­er) kommt von den Män­nern – dar­un­ter Gene­ral San Mar­tín – die Anfang des 19. Jahr­hun­derts den sel­ben Weg über die Anden mar­schiert sind, um in den Schlach­ten von Chaca­bu­co und Maipú die Unab­hän­gig­keit Chi­les und Argen­ti­ni­ens zu erkämp­fen. An die­sem Wis­sen kommt hier nie­mand vor­bei, denn in jeder Stadt sind die Stra­ßen gleich benannt, sodass es immer die Cal­les San Mar­tín, Batal­la de Chaca­bu­co und Maipú gibt; qua­si die Bahn­hofs­stra­ße Südamerikas.

In Sant­ia­go de Chi­le muss man dann Glück haben, dass man einen Tag ohne Smog erwischt. Das hat­te ich natür­lich nicht, als wir auf den Cer­ro San Cris­tó­bal fuh­ren, und so blieb mir die spek­ta­ku­lä­re Sicht auf die Andenket­te ver­wehrt. Dafür gab es als Kom­pen­sa­ti­on aber auf dem Gip­fel mal wie­der – welch Wun­der – eine vir­gen zu bestau­nen. Ins Zen­trum konn­te ich an die­sem Tag nicht, denn der 21. Mai Sant­ia­gos ist der 1. Mai Ber­lins; wäh­rend der Prä­si­dent sei­nen Jah­res­be­richt vor­trug, gab es in der Innen­stadt gewalt­tä­ti­ge Pro­tes­te und bren­nen­de Autos.

Sonn­tags nahm mich die Fami­lie mit auf einen Aus­flug ans Meer. Es war wirk­lich schön, nach all den Ber­gen auch mal wie­der Was­ser zu sehen. Viña del Mar und Val­pa­raí­so sind Rück­zugs­or­te an der Pazi­fik­küs­te, in die sich die San­tia­gu­i­nos vor dem Smog flüch­ten. Ers­te­rem fehlt als geho­be­ner Tou­ris­ten­ort aller­dings der Charme, den der Künst­ler­ort Val­pa­raí­so mit sei­nen tau­send Hügeln und sei­nen in allen Far­ben der Welt gestri­che­nen Häu­sern aufweist.

Am Mon­tag hat­te ich wie­der kein Glück, da auch in Chi­le die Muse­en mon­tags zu sind und ich so im Zen­trum nur ein beschränk­tes Ange­bot an Zer­streu­ung fand. Trotz­dem konn­te ich ein biss­chen umher­lau­fen und einen Ein­druck von Sant­ia­go bekommen.

Über­haupt ist Chi­le – oder wenigs­tens Sant­ia­go – eine Mischung aus Deutsch­land und den USA. Wer ger­ne nach Süd­ame­ri­ka rei­sen möch­te, sich aber nicht so rich­tig traut, soll­te dort­hin fah­ren. Die Ähn­lich­keit fällt in vie­len Details auf: Den glei­chen Stra­ßen­schil­dern (Auto­bahn­schil­der sind blau), der ähn­li­chen Men­ta­li­tät (es wird um 19 Uhr geges­sen), der gut aus­ge­bau­ten Infra­struk­tur und dem Vor­han­den­sein von Fahr­plä­nen, den hohen Prei­sen sowie der All­ge­gen­wart von eng­li­schen Begrif­fen im Bild der Stadt. Das ist wahr­schein­lich nicht in ganz Chi­le so, aber Sant­ia­go ist auf jeden Fall eine Abwechs­lung zum Durch­ein­an­der Argen­ti­ni­ens. Im Ver­gleich zu Sant­ia­go ist Argen­ti­ni­en wirk­lich ein Drit­te-Welt-Land. Was aber auch dort vor­herrsch­te, war die Bewun­de­rung der euro­päi­schen und deut­schen Kul­tur und die Bli­cke und Kom­pli­men­te, die man als blon­de Frau bekommt.

Ins­ge­samt war es eine schö­ne Rei­se, die Fami­lie des Freun­des hat mich auf­ge­nom­men wie ein Fami­li­en­mit­glied und bestä­tig­te das latein­ame­ri­ka­ni­sche Kli­schee der unein­ge­schränk­ten Gast­freund­schaft­lich­keit. Zum Abschied bekam ich zwei Tafeln Scho­ko­la­de „Sah­ne-Nuss” (im Ernst, das steht da drauf) und eine Fla­sche Pis­co, der Natio­nal­schnaps der Chi­le­nen, geschenkt. Als wäre mei­ne Beher­ber­gung nicht schon Geschenk genug gewesen!

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