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Die unbe­schreib­li­che Wesens­art des Seins

Auch wenn das Semes­ter (kurio­ser­wei­se auf die­ser Sei­te der Erde ja das Win­ter­se­mes­ter) schon lang­sam dem Ende ent­ge­gen­strebt, war heu­te – dank ein­ge­stürz­tem Dach der Fakul­tät – end­lich die ers­te Sit­zung eines Semi­nars, das Stu­die­ren­den höhe­rer Semes­ter einen Über­blick in die deut­sche Kul­tur, Spra­che und Lite­ra­tur geben soll. Das Semi­nar schließt ein biss­chen Sprach­un­ter­richt mit ein, sodass am Ende ein A1-Sprach­ni­veau erreicht ist.

Dabei fiel mir wie­der auf, wie unmög­lich man etwas Ungreif­ba­res sprach­lich ver­mit­teln kann, wenn die Leu­te es nicht selbst erlebt haben. Wie wür­det ihr zum Bei­spiel jeman­dem die Schuld­ge­füh­le erklä­ren, die alle Deut­schen dank Schul­bil­dung und Medi­en wegen des Nazi-Regimes pla­gen? Es glaubt mir hier nie­mand, wenn ich als Mitt­zwan­zi­ge­rin pein­lich berührt von mei­ner natio­na­len Geschich­te bin, die über 40 Jah­re vor mei­ner Geburt pas­siert ist.

Den­noch habe ich öfter das Gefühl, dass die Men­schen in Argen­ti­ni­en wenigs­tens unge­fähr nach­voll­zie­hen kön­nen, wor­um es geht; auch hier hat man mit den Mili­tär­dik­ta­tu­ren eine zumin­dest in Ansät­zen ver­gleich­ba­re Ver­gan­gen­heit hin­ter sich.

Und auch den Unter­schied in der deut­schen Men­ta­li­tät zwi­schen Ost und West kann man nur schwer anschau­lich dar­le­gen, schon gar ohne die Wör­ter „Kom­mu­nis­mus” und „Kapi­ta­lis­mus” in den Mund zu neh­men. Auf die­se Gemein­plät­ze greift man jedoch meist ver­zwei­felt zurück, was das Ver­ständ­nis der Zuhö­ren­den aller­dings oft­mals auf Kli­schees reduziert.

Unse­re Wesens­art ohne die Nazis und die Wen­de zu erklä­ren, das scheint genau­so unmög­lich, wie eine Wen­del­trep­pe zu beschrei­ben, ohne die Hän­de zu benutzen.

In den kom­men­den Sit­zun­gen wer­den wir ver­su­chen, mit Fil­men, Musik und Lite­ra­tur vor allem die­se bei­den Aspek­te der deut­schen Men­ta­li­tät zu ver­an­schau­li­chen. Denn anders ist es kaum mög­lich, wenn man die Deut­schen nicht selbst erlebt hat.

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Aus­rei­se­rin

Die Rei­se aus­ge­rech­net nach Sant­ia­go de Chi­le hat­te meh­re­re Vor­tei­le: Ich konn­te mein 90-Tage-Tou­ris­ten­vi­sum für Argen­ti­ni­en erneu­ern und lern­te die Fami­lie eines Freun­des ken­nen, denn bei ihr ver­brach­te ich die paar Tage in der 5‑Mil­lio­nen-Haupt­stadt.

Schon die Hin­fahrt war mal wie­der ein beson­de­res Erleb­nis. Auf der Land­kar­te scheint die Stre­cke gar nicht so lang, aber man fährt zunächst ein­mal von Tucumán nach Men­do­za – 12 Stun­den im Nacht­bus – und danach sind es von Men­do­za nach Sant­ia­go immer noch 6 Stun­den quer über die Anden.

Für ein paar Euren mehr habe ich mich in die Ers­te Klas­se des Nach­bus­ses ein­ge­bucht. Wer sich die First Class im Flug­zeug nicht leis­ten kann, soll­te das auch mal aus­pro­bie­ren, denn schlech­ter als im Flie­ger war es mit Sicher­heit nicht. Wir wur­den von oben bis unten betü­delt, man zeig­te wie­der Fil­me, zum Abend­essen gab es ein Drei-Gän­ge-Menü mit Sekt und Wein. Und auf den best­ge­pols­ter­ten Sit­zen der Welt, die sich fast waag­recht aus­klap­pen las­sen, schläft es sich sogar ver­hält­nis­mä­ßig angenehm.

Fährt man von Men­do­za nach Chi­le, muss man auf 2200 m Höhe am Grenz­über­gang „Los Libert­ado­res” vor­bei. Das ist einer der unan­ge­nehms­ten Arbeits­or­te für Grenz­be­am­te, und auf­grund der Höhe, der Käl­te und der Abge­schie­den­heit sind sie dort immer nur einen Monat sta­tio­niert. Bei der Ein­rei­se nach Chi­le müs­sen übri­gens stren­ge Ein­fuhr­be­stim­mun­gen beach­tet wer­den, denn es gibt dort kei­ne Frucht­flie­gen, und das soll dank Ein­fuhr­ver­bot von orga­ni­schen Mate­ria­li­en (Äpfel, Tee, Was­ser, Holz, usw.) auch so bleiben.

Der Name „Los Libert­ado­res” (Die Befrei­er) kommt von den Män­nern – dar­un­ter Gene­ral San Mar­tín – die Anfang des 19. Jahr­hun­derts den sel­ben Weg über die Anden mar­schiert sind, um in den Schlach­ten von Chaca­bu­co und Maipú die Unab­hän­gig­keit Chi­les und Argen­ti­ni­ens zu erkämp­fen. An die­sem Wis­sen kommt hier nie­mand vor­bei, denn in jeder Stadt sind die Stra­ßen gleich benannt, sodass es immer die Cal­les San Mar­tín, Batal­la de Chaca­bu­co und Maipú gibt; qua­si die Bahn­hofs­stra­ße Südamerikas.

In Sant­ia­go de Chi­le muss man dann Glück haben, dass man einen Tag ohne Smog erwischt. Das hat­te ich natür­lich nicht, als wir auf den Cer­ro San Cris­tó­bal fuh­ren, und so blieb mir die spek­ta­ku­lä­re Sicht auf die Andenket­te ver­wehrt. Dafür gab es als Kom­pen­sa­ti­on aber auf dem Gip­fel mal wie­der – welch Wun­der – eine vir­gen zu bestau­nen. Ins Zen­trum konn­te ich an die­sem Tag nicht, denn der 21. Mai Sant­ia­gos ist der 1. Mai Ber­lins; wäh­rend der Prä­si­dent sei­nen Jah­res­be­richt vor­trug, gab es in der Innen­stadt gewalt­tä­ti­ge Pro­tes­te und bren­nen­de Autos.

Sonn­tags nahm mich die Fami­lie mit auf einen Aus­flug ans Meer. Es war wirk­lich schön, nach all den Ber­gen auch mal wie­der Was­ser zu sehen. Viña del Mar und Val­pa­raí­so sind Rück­zugs­or­te an der Pazi­fik­küs­te, in die sich die San­tia­gu­i­nos vor dem Smog flüch­ten. Ers­te­rem fehlt als geho­be­ner Tou­ris­ten­ort aller­dings der Charme, den der Künst­ler­ort Val­pa­raí­so mit sei­nen tau­send Hügeln und sei­nen in allen Far­ben der Welt gestri­che­nen Häu­sern aufweist.

Am Mon­tag hat­te ich wie­der kein Glück, da auch in Chi­le die Muse­en mon­tags zu sind und ich so im Zen­trum nur ein beschränk­tes Ange­bot an Zer­streu­ung fand. Trotz­dem konn­te ich ein biss­chen umher­lau­fen und einen Ein­druck von Sant­ia­go bekommen.

Über­haupt ist Chi­le – oder wenigs­tens Sant­ia­go – eine Mischung aus Deutsch­land und den USA. Wer ger­ne nach Süd­ame­ri­ka rei­sen möch­te, sich aber nicht so rich­tig traut, soll­te dort­hin fah­ren. Die Ähn­lich­keit fällt in vie­len Details auf: Den glei­chen Stra­ßen­schil­dern (Auto­bahn­schil­der sind blau), der ähn­li­chen Men­ta­li­tät (es wird um 19 Uhr geges­sen), der gut aus­ge­bau­ten Infra­struk­tur und dem Vor­han­den­sein von Fahr­plä­nen, den hohen Prei­sen sowie der All­ge­gen­wart von eng­li­schen Begrif­fen im Bild der Stadt. Das ist wahr­schein­lich nicht in ganz Chi­le so, aber Sant­ia­go ist auf jeden Fall eine Abwechs­lung zum Durch­ein­an­der Argen­ti­ni­ens. Im Ver­gleich zu Sant­ia­go ist Argen­ti­ni­en wirk­lich ein Drit­te-Welt-Land. Was aber auch dort vor­herrsch­te, war die Bewun­de­rung der euro­päi­schen und deut­schen Kul­tur und die Bli­cke und Kom­pli­men­te, die man als blon­de Frau bekommt.

Ins­ge­samt war es eine schö­ne Rei­se, die Fami­lie des Freun­des hat mich auf­ge­nom­men wie ein Fami­li­en­mit­glied und bestä­tig­te das latein­ame­ri­ka­ni­sche Kli­schee der unein­ge­schränk­ten Gast­freund­schaft­lich­keit. Zum Abschied bekam ich zwei Tafeln Scho­ko­la­de „Sah­ne-Nuss” (im Ernst, das steht da drauf) und eine Fla­sche Pis­co, der Natio­nal­schnaps der Chi­le­nen, geschenkt. Als wäre mei­ne Beher­ber­gung nicht schon Geschenk genug gewesen!

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Trin­ken

Was trin­ken die Argen­ti­nie­rIn­nen denn eigent­lich so?

Den Mate kennt ihr ja sicher. Er ist so argen­ti­nisch wie Mara­dona und der Tan­go, und genau­so­we­nig ein Kli­schee. Macht man eine Rei­se oder ver­lässt sonst irgend­wie das Haus, packt man sich in jedem Fall sei­ne cala­ba­za (Mate­be­cher), die bom­bil­la (Stroh­halm aus Metall), yer­ba mate (Mate­kräu­ter) und eine Ther­mos­kan­ne mit auf 90 Grad erwärm­tem Was­ser (wich­tig: es darf nicht gekocht haben) ein. Je nach­dem, ob man den Mate amar­go (bit­ter) oder dul­ce (süß) trinkt, auch noch Zucker.

Das schöns­te beim Mate­trin­ken ist eigent­lich das Ritu­al, denn so gut schmeckt er eigent­lich – zumin­dest anfäng­lich – nicht (er wirkt aber angeb­lich bele­bend und regt die Ver­dau­ung an). Der ceba­dor gibt die Kräu­ter in die cala­ba­za, gießt hei­ßes Was­ser auf und trinkt den ers­ten Becher. Anfäng­lich dach­te ich, dass das ziem­lich ego­zen­trisch ist, aber im Gegen­teil: die ers­te Fül­lung ist näm­lich die bit­ters­te. Danach gießt er immer wie­der auf und jeder Betei­lig­te sip­pelt den Inhalt durch den Trink­halm, bis es blub­belt (das zeigt an, dass kein Was­ser mehr im Becher ist). Auch wenn ich mich jedes Mal dabei ver­bren­ne, trinkt man übli­cher­wei­se schnell aus, damit wie­der nach­ge­füllt wer­den kann.

Argen­ti­ni­en ist – was mir bis­her noch nicht so bewusst war – ein aus­gspro­che­nes Wein­land. Hier gibt es eini­ge Wein­an­bau­ge­bie­te wie zum Bei­spiel Men­do­za und Cafa­ya­te, wo man schö­ne Wein­ver­kos­tun­gen machen kann. Und wenn ihr im Super­markt mal einem argen­ti­ni­schen Wein begeg­net, dann kauft ihn!!! Ich habe bis­her noch kei­nen erwischt, und sei er noch so güns­tig gewe­sen, der nicht geschmeckt hat.

An Soft­drinks ist hier alles beliebt, was süß ist. Cola, Fan­ta, Sprite, Säf­te, usw. Ich wer­de schon ver­rückt gehal­ten, weil ich immer nur Was­ser trin­ke. Das Gute ist aber, das man von allem auch die Zero-Zucker-Ver­si­on bekommt, sogar in Restaurants.

Schließ­lich muss auch noch das Par­ty-Kult­ge­tränk erwähnt wer­den, der Fer­net Coca. Ja, ihr habt rich­tig gele­sen. Was bei uns ledig­lich in der sehr viel älte­ren Gene­ra­ti­on und auch mei­nes Erach­tens nach nur regio­nal kon­su­miert wird, dient hier als Zutat zum Lieb­lings­mix­ge­tränk der jun­gen Leu­te. Wer sich ger­ne in sei­ne Jugenzeit auf dem Dorf zurück­ver­set­zen möch­te, wo es in jedem Fall immer Asbach Cola gab, der kommt mit Fer­net Coca voll auf sei­ne Kosten.

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Akkul­tu­ra­li­siert

Für alle, die sich gefragt haben, ob ich mei­nen Kul­tur­schock mitt­ler­wei­le über­wun­den habe: Ich den­ke ja, wie vor­aus­ge­se­hen waren es ziem­lich genau zwei Mona­te, die es gedau­ert hat.

Was ist eigent­lich ein Kul­tur­schock? Laut Wiki­pe­dia glie­dert sich die­ser in vier Phasen:

  1. Die Honey­moon-Pha­se, in der man noch ganz über­wäl­tigt von allem Neu­en ist und eupho­ri­sche Gefüh­le hat.
  2. In der Kri­se befin­det man sich dann, wenn man die kul­tu­rel­len Unter­schie­de als nega­tiv emp­fin­det und sich sei­ner sprach­li­chen Defi­zi­te bewusst wird. Davon legt einer mei­ner Arti­kel Zeug­nis ab.
  3. Durch die Pha­se der Erho­lung ent­wi­ckelt man lang­sam Ver­ständ­nis für die neue Kultur.
  4. Man inte­griert sich dann durch Anpas­sung und über­nimmt sogar Cha­rak­te­ris­ti­ka der frem­den Kultur.

Um in die vier­te Pha­se zu gelan­gen, muss man aller­dings auch ein biss­chen Eigen­leis­tung brin­gen. Ich beob­ach­te zum Bei­spiel sehr gern die Ges­tik ande­rer Leu­te und imi­tie­re deren Akzent und Pro­so­die. Das bringt mich hier in Argen­ti­ni­en ab und zu mal in die Bre­douil­le, weil die Men­schen mei­ne sprach­li­chen Fähig­kei­ten bes­ser ein­schät­zen als sie eigent­lich sind. Was mir hier sehr gut gefällt, ist der star­ke Ein­satz der Hän­de beim Reden. Das wer­de ich hof­fent­lich in Deutsch­land bei­be­hal­ten (obwohl die deut­sche Spra­che und Men­ta­li­tät dafür viel­leicht nicht ganz so gut geeig­net sind), passt also auf, dass ich euch nicht ver­se­hent­lich im Eifer des Gefechts auf die Nase haue.

Kul­tur­schock ist ergo nichts Schlim­mes und im Gegen­teil sogar ein unheim­lich inter­es­san­tes Gebiet für Feld­for­schung am eige­nen Leib.  Es hat mir aber sehr gehol­fen, das Gan­ze schon­mal in Eng­land durch­lebt zu haben, die Pha­sen zu ken­nen und zu wis­sen, wie ich per­sön­lich reagie­re. Hat man es erst ein­mal bis dahin geschafft, wird man sich für immer mit der adap­tier­ten Kul­tur ver­bun­den füh­len und die­se als Teil eines selbst akzep­tie­ren. Allen, die nach mir für län­ge­re Zeit ins Aus­land gehen, sei ans Herz gelegt, ein­fach abzu­war­ten und sich auf den guten Teil zu freuen.

Übri­gens hilft einem dabei auch sehr das Rei­sen in ande­re Tei­le des Lan­des, wes­halb ich am kom­men­den Wochen­en­de nach Sal­ta fahre.

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Des Rät­sels Lösung

Jetzt weiß ich, war­um die Argen­ti­nie­rIn­nen so selbst­be­wusst und extro­ver­tiert sind! Mir wur­de erzählt, dass in jeder Schu­le mor­gens vor dem Unter­richt die Flag­ge gehisst wird und alle Schü­ler sich dar­um versammeln.

Dazu wird jeden Tag von ande­ren Schü­lern etwas vor­ge­tra­gen, ein Gedicht oder eine Geschich­te etce­te­ra pepe. Weil jeder mal dran­kommt, und die Grö­ße des Publi­kums nicht gera­de klein ist, ler­nen die Men­schen hier also schon früh, sich im Mit­tel­punkt wohl­zu­füh­len und kei­ne Angst vorm Vor­tra­gen zu haben.

So ist das also!