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Der Wahr­heits­ge­halt latein­ame­ri­ka­ni­scher Klischees

Die meis­ten von euch den­ken, wenn es um Latein­ame­ri­ka und spe­zi­ell Argen­ti­ni­en geht, sicher an bestimm­te Kli­schees: Gau­chos, Tan­go und Rind­fleisch sind meis­tens alles, was man vom wei­ten Land auf der ande­ren Sei­te des atlan­ti­schen Oze­ans kennt.

Lasst euch gesagt sein, dass alle Kli­schees, die ihr kennt, wahr sind und ihre Berech­ti­gung haben.(*)

  • Der Katho­li­zis­mus prägt das Leben der Men­schen. Es gibt nicht nur sehr vie­le Kir­chen, in denen man immer die obli­ga­to­ri­sche Jung­frau­en­sta­tue besich­ti­gen kann. Zudem wird man – in einem Bus sit­zend – jedes­mal der unter­schwel­li­gen Macht der Kir­che gewahr, wenn plötz­lich die Mehr­heit der Insas­sen im Gespräch mit den Neben­sit­zern inne­hält und sich bekreuzigt.
  • Auch in Sachen Men­ta­li­tät gibt es kei­ne Über­ra­schun­gen. Man sagt, die Latein­ame­ri­ka­ner sei­en laut, auf­ge­schlos­sen, unor­ga­ni­siert, unvor­ein­ge­nom­men, hilfs­be­reit, gast­freund­lich, und alles geht drun­ter und drü­ber. Das stimmt!
  • Bei einem Spa­zier­gang durch die Stra­ßen jeder belie­bi­gen Stadt kann man die typi­sche kolo­nia­le Archi­tek­tur bestau­nen, die tat­säch­lich so aus­sieht, wie in den Fil­men. An allen Orten bun­te Häu­ser, Kolo­ni­al­bau­ten, alles wirkt teil­wei­se etwas ver­wahr­lost aber trotz­dem irgend­wie schön.
  • Kunst­hand­werk und Kul­tur ent­spre­chen der euro­päi­schen Sti­li­sie­rung. Hand­ge­klöp­pel­te Indio­tep­pi­che und Pan­flö­ten; das gibt es hier nicht nur an jeder Ecke zu kau­fen, son­dern befin­det sich wirk­lich in jedem Haus­halt als Teil der ganz nor­ma­len Ein­rich­tung und wird benutzt. Die „Inka­pan­flö­ten­in­dia­ner“ (O‑Ton Micha­el Mit­ter­mei­er) der euro­päi­schen Fuß­gän­ger­zo­nen sind kei­ne Erfin­dung, son­dern ein direk­ter Import.
  • Es gibt sie wirk­lich, die latein­ame­ri­ka­ni­schen Mami­t­as! Wie man das erwar­tet, sind sie alle­samt dick und abso­lut liebenswürdig.
  • Und spe­zi­ell für Argen­ti­ni­en: Gau­chos, Tan­go und Rind­fleisch sind in der Tat das Kul­tur­gut die­ses Lan­des und wer­den inten­siv ausgelebt.

(*) Es bleibt anzu­mer­ken, dass ich euch die­sen sub­jek­ti­ven Ein­druck mit einem zwin­kern­den Auge schil­de­re. Natür­lich gibt es hier noch sehr viel mehr zu erfah­ren als die Erfül­lung erwar­te­ter Kli­schees. Aber wer ein gewis­ses Bild von Süd­ame­ri­ka hat, wird dahin­ge­hend auf jeden Fall nicht ent­täuscht werden.

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Gedan­ken zur Sprache

Eng­lisch ist am Anfang ein­fach zu ler­nen, wird aber dann mit fort­schrei­ten­der Sprach­kom­pe­tenz immer schwie­ri­ger. Denn je bes­ser man die Fein­hei­ten erkennt, des­to auf­fäl­li­ger erschei­nen einem die klei­nen Unter­schie­de, die die rich­ti­ge Wort­wahl ausmachen.

Im Spa­ni­schen ist es mei­ner Mei­nung nach umge­kehrt. Am Anfang muss man sich erst­mal durch die gan­zen Kon­ju­ga­tio­nen quä­len: Es gibt zwar auch nur einen Prä­sens, dafür aber zwei Future, drei Ver­gan­gen­heits­for­men (das Plus­quam­per­fekt nicht ein­ge­rech­net) und von den meis­ten Zei­ten auch noch eine Form im Sub­jun­tivo (die Aspekt­form, die Unge­wiss­heit aus­drückt) plus das Kon­di­tio­nal. Die meis­ten der Zei­ten gibt es im Fran­zö­si­schen zwar auch, doch im Fran­zö­si­schen hört man beim Spre­chen den Unter­schied zwi­schen den Per­so­nen nicht, man kann also rich­tig spre­chen, ohne die kor­rek­te Schreib­wei­se zu kennen.

Hat man sich beim Spa­ni­sch­er­werb aber erst ein­mal die Kon­ju­ga­tio­nen ein­ge­prägt, wird es ein­fa­cher: Vor allem bei den Ver­ben benutzt man näm­lich nur einen begrenz­ten Wort­schatz. Mit

  • ser/estar (sein, sich befinden)
  • ir (gehen, funk­tio­nie­ren, Auxiliar)
  • venir (kom­men)
  • salir (eine Bewe­gung aus etwas heraus)
  • sacar (kann gene­rell immer ver­wen­det werden)
  • poner (set­zen, stel­len, legen)
  • hacer (machen, tun)
  • haber (haben, geben)
  • tener (haben)
  • deber (müs­sen, schulden)
  • que­rer (wol­len)
  • lle­var (neh­men)
  • dejar (las­sen)

kommt man schon sehr weit, da sämt­li­che Phra­sen, Wen­dun­gen und Aus­drü­cke mit die­sen Ver­ben gebil­det wer­den. Die spa­ni­sche Spra­che ist in die­ser Hin­sicht also wenig kreativ.

Das macht sie aber durch ihre Viel­falt an Regio­na­lis­men wett; für fast jedes All­tags­wort, das man in einem ibe­ro­zen­tris­ti­schen Sprach­kurs lernt, gibt es in jedem latein­ame­ri­ka­ni­schen Land – teil­wei­se sogar regio­nal – ein Äqui­va­lent. So sagt man hier nicht coche son­dern auto, nicht dine­ro son­dern pla­ta, nicht pata­ta son­dern papa.

Ganz sub­jek­tiv kann ich sagen, dass ich das Spa­ni­sche zwar sehr mag, weil es eine schö­ne Spra­che ist und ich mich dar­in auch wohl füh­le. Lie­ben tu ich aber Englisch.

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Die unbe­schreib­li­che Wesens­art des Seins

Auch wenn das Semes­ter (kurio­ser­wei­se auf die­ser Sei­te der Erde ja das Win­ter­se­mes­ter) schon lang­sam dem Ende ent­ge­gen­strebt, war heu­te – dank ein­ge­stürz­tem Dach der Fakul­tät – end­lich die ers­te Sit­zung eines Semi­nars, das Stu­die­ren­den höhe­rer Semes­ter einen Über­blick in die deut­sche Kul­tur, Spra­che und Lite­ra­tur geben soll. Das Semi­nar schließt ein biss­chen Sprach­un­ter­richt mit ein, sodass am Ende ein A1-Sprach­ni­veau erreicht ist.

Dabei fiel mir wie­der auf, wie unmög­lich man etwas Ungreif­ba­res sprach­lich ver­mit­teln kann, wenn die Leu­te es nicht selbst erlebt haben. Wie wür­det ihr zum Bei­spiel jeman­dem die Schuld­ge­füh­le erklä­ren, die alle Deut­schen dank Schul­bil­dung und Medi­en wegen des Nazi-Regimes pla­gen? Es glaubt mir hier nie­mand, wenn ich als Mitt­zwan­zi­ge­rin pein­lich berührt von mei­ner natio­na­len Geschich­te bin, die über 40 Jah­re vor mei­ner Geburt pas­siert ist.

Den­noch habe ich öfter das Gefühl, dass die Men­schen in Argen­ti­ni­en wenigs­tens unge­fähr nach­voll­zie­hen kön­nen, wor­um es geht; auch hier hat man mit den Mili­tär­dik­ta­tu­ren eine zumin­dest in Ansät­zen ver­gleich­ba­re Ver­gan­gen­heit hin­ter sich.

Und auch den Unter­schied in der deut­schen Men­ta­li­tät zwi­schen Ost und West kann man nur schwer anschau­lich dar­le­gen, schon gar ohne die Wör­ter „Kom­mu­nis­mus” und „Kapi­ta­lis­mus” in den Mund zu neh­men. Auf die­se Gemein­plät­ze greift man jedoch meist ver­zwei­felt zurück, was das Ver­ständ­nis der Zuhö­ren­den aller­dings oft­mals auf Kli­schees reduziert.

Unse­re Wesens­art ohne die Nazis und die Wen­de zu erklä­ren, das scheint genau­so unmög­lich, wie eine Wen­del­trep­pe zu beschrei­ben, ohne die Hän­de zu benutzen.

In den kom­men­den Sit­zun­gen wer­den wir ver­su­chen, mit Fil­men, Musik und Lite­ra­tur vor allem die­se bei­den Aspek­te der deut­schen Men­ta­li­tät zu ver­an­schau­li­chen. Denn anders ist es kaum mög­lich, wenn man die Deut­schen nicht selbst erlebt hat.

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Akkul­tu­ra­li­siert

Für alle, die sich gefragt haben, ob ich mei­nen Kul­tur­schock mitt­ler­wei­le über­wun­den habe: Ich den­ke ja, wie vor­aus­ge­se­hen waren es ziem­lich genau zwei Mona­te, die es gedau­ert hat.

Was ist eigent­lich ein Kul­tur­schock? Laut Wiki­pe­dia glie­dert sich die­ser in vier Phasen:

  1. Die Honey­moon-Pha­se, in der man noch ganz über­wäl­tigt von allem Neu­en ist und eupho­ri­sche Gefüh­le hat.
  2. In der Kri­se befin­det man sich dann, wenn man die kul­tu­rel­len Unter­schie­de als nega­tiv emp­fin­det und sich sei­ner sprach­li­chen Defi­zi­te bewusst wird. Davon legt einer mei­ner Arti­kel Zeug­nis ab.
  3. Durch die Pha­se der Erho­lung ent­wi­ckelt man lang­sam Ver­ständ­nis für die neue Kultur.
  4. Man inte­griert sich dann durch Anpas­sung und über­nimmt sogar Cha­rak­te­ris­ti­ka der frem­den Kultur.

Um in die vier­te Pha­se zu gelan­gen, muss man aller­dings auch ein biss­chen Eigen­leis­tung brin­gen. Ich beob­ach­te zum Bei­spiel sehr gern die Ges­tik ande­rer Leu­te und imi­tie­re deren Akzent und Pro­so­die. Das bringt mich hier in Argen­ti­ni­en ab und zu mal in die Bre­douil­le, weil die Men­schen mei­ne sprach­li­chen Fähig­kei­ten bes­ser ein­schät­zen als sie eigent­lich sind. Was mir hier sehr gut gefällt, ist der star­ke Ein­satz der Hän­de beim Reden. Das wer­de ich hof­fent­lich in Deutsch­land bei­be­hal­ten (obwohl die deut­sche Spra­che und Men­ta­li­tät dafür viel­leicht nicht ganz so gut geeig­net sind), passt also auf, dass ich euch nicht ver­se­hent­lich im Eifer des Gefechts auf die Nase haue.

Kul­tur­schock ist ergo nichts Schlim­mes und im Gegen­teil sogar ein unheim­lich inter­es­san­tes Gebiet für Feld­for­schung am eige­nen Leib.  Es hat mir aber sehr gehol­fen, das Gan­ze schon­mal in Eng­land durch­lebt zu haben, die Pha­sen zu ken­nen und zu wis­sen, wie ich per­sön­lich reagie­re. Hat man es erst ein­mal bis dahin geschafft, wird man sich für immer mit der adap­tier­ten Kul­tur ver­bun­den füh­len und die­se als Teil eines selbst akzep­tie­ren. Allen, die nach mir für län­ge­re Zeit ins Aus­land gehen, sei ans Herz gelegt, ein­fach abzu­war­ten und sich auf den guten Teil zu freuen.

Übri­gens hilft einem dabei auch sehr das Rei­sen in ande­re Tei­le des Lan­des, wes­halb ich am kom­men­den Wochen­en­de nach Sal­ta fahre.

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Iden­ti­täts­kri­se?

Als ich für ein hal­bes Jahr in Eng­land war, hat­te ich in den ers­ten zwei Mona­ten eine klei­ne Iden­ti­täts­kri­se: Obwohl ich Eng­lisch sprach, konn­te ich mich in der frem­den Spra­che nicht in gewünsch­tem Gra­de aus­drü­cken. Ich hat­te also das Gefühl, mei­ne eng­li­schen Mit­be­woh­ner ler­nen mich nicht so ken­nen, wie ich wirk­lich bin, denn dazu fehl­te ein­fach der sprach­li­che Fein­schliff. Lin­gu­is­ti­sche Vor­lie­ben wie Wort­wit­ze muss­ten da erst­mal zurück­ste­cken. Hin­zu kam ein leich­ter Kulturschock.

Das gab sich aller­dings nach zwei Mona­ten und ich konn­te mei­ne eige­ne eng­li­sche Iden­ti­tät ent­wi­ckeln, die ich jetzt immer noch gern raus­kra­me, wenn ich mich mit Eng­län­dern unter­hal­te. Das Gan­ze hat ein biss­chen was Schizophrenes.

Nun bin ich gespannt, wie es mir in Argen­ti­ni­en erge­hen wird. Ich spre­che zwar Spa­nisch, aber in weit gerin­ge­rem Maße als Eng­lisch. Das hof­fe ich natür­lich in vier Mona­ten ändern zu kön­nen. Ich erwar­te also, nach einer anfäng­li­chen mit­tel­schwe­ren Iden­ti­täts­kri­se eine argen­ti­ni­sche Per­sön­lich­keit zu ent­wi­ckeln. Wenns gut läuft, sind wir dann am Ende zusam­men mit mei­ner deut­schen Iden­ti­tät zu dritt, da ist ja dann wohl mal ne Skat­run­de ange­bracht. Schi­zo­ph­re? Nie!