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Beim Zoll

Die Müh­len der Demo­kra­tie mah­len hier auch nicht schnel­ler als in Deutsch­land. Beim Zoll hat man sogar das Gefühl, dass die Müh­len drin­gend mal wie­der geölt wer­den sollten.

Genau da muss­te ich näm­lich die­se Woche hin, weil wir aus Deutsch­land eine Ladung Bücher bekom­men haben, um den Hand­ap­pa­rat zu erwei­tern. Da in Argen­ti­ni­en sehr hohe Ein­füh­rungs­ge­büh­ren erho­ben wer­den, muss jedes grö­ße­re Paket erst ein­mal durch den Zoll.

Fol­gen­der­ma­ßen läuft das ab:

  1. Man bekommt einen Lie­fer­schein, dass das Paket da ist.
  2. Zu einer bestimm­ten Zeit (ca. 4h in der Woche) ruft man beim Zoll an und mel­det sich für die nächs­te Öff­nungs­zeit an.
  3. Man geht mit der Benach­rich­ti­gung und dem Pass zur Sprech­stun­de zum Zoll in ein klei­nes Büro im vier­ten Stock, wo ein Mann sitzt, der defi­ni­tiv – sei­ner Grum­me­lig­keit und sei­ner Arbeits­ein­stel­lung nach zu urtei­len – deut­sche Beam­ten als Vor­fah­ren hat. Die­ser über­prüft die Daten, nimmt das Paket unter den Arm und zusam­men mar­schiert man ein Stock­werk tie­fer. Meist ver­sucht der Mensch, ein paar Pesos „Gebüh­ren” zu kas­sie­ren; man soll­te beharr­lich blei­ben und die­se „Gebüh­ren” nicht bezahlen.
  4. Man war­tet, bis man auf­ge­ru­fen wird.
  5. Das Paket wird geöff­net und der innen befind­li­che Lie­fer­schein wird auf Kor­rekt­heit überprüft.
  6. Das Paket wird wie­der zuge­macht und man geht…
  7. …mit dem Lie­fer­schein zur Uni­ver­si­tät (in unse­rem Fall), wo eine Dame eine Beschei­ni­gung aus­stellt und noch ande­re For­ma­li­tä­ten erledigt.
  8. Eini­ge Zeit spä­ter kann man sich mit dem abge­seg­ne­ten Lie­fer­schein wie­der der glei­chen Pro­ze­dur unter­zie­hen, also:
  9. beim Zoll anrufen,
  10. in den vier­ten Stock gehen,
  11. mit dem Mann und dem Paket in den drit­ten Stock gehen,
  12. war­ten.
  13. Und dann – wenn man Glück hat – darf man das Paket mitnehmen.

Das Gan­ze wird noch etwas kom­pli­zier­ter, wenn eine ande­re Per­son die Lie­fe­rung abho­len soll. Außer­dem ging es bei uns rela­tiv rei­bungs­los, weil es sich nur um Bücher han­del­te und außer­dem auch mit der Uni­ver­si­tät eine staat­li­che Insti­tu­ti­on mit im Spiel war. Zusätz­lich muss man nor­ma­ler­wei­se noch einen gewis­sen Pro­zent­satz des Paket­wer­tes an Steu­ern bezahlen.

Also bit­te, schickt mir kei­ne Pakete!

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Nach­hil­fe in Selbstbewusstsein

Wer sich für zu schüch­tern hält, soll­te nach Argen­ti­ni­en fah­ren. Weil man als „rei­che®” Euro­päe­rIn hier öfter mal über den Tisch gezo­gen wird, muss man schnell ler­nen, sei­ne Mei­nung zu ver­tre­ten und sich nicht unter­but­tern zu las­sen. Dabei soll­te man sich nicht schä­men, wenn man sich nicht rich­tig auf Spa­nisch arti­ku­lie­ren kann. Den Argen­ti­ni­ern impo­niert es im All­ge­mei­nen, wenn man bei sei­nem Stand­punkt bleibt (weil sie selbst das nicht tun) und ist man selbst­be­wusst genug, las­sen sie einen dann auch in Ruhe oder machen, was man will.

Man soll­te wei­ter­hin auf dem behar­ren, was man ursprüng­lich ver­ein­bart hat­te: Ter­mi­ne, Abma­chun­gen, Rege­lun­gen, Ver­spre­chun­gen etc. wer­den sonst ganz gern vergessen.

Wer zu schüch­tern ist, geht hier unter. Des­halb also eine gute Lek­ti­on für alle, die selbst­be­wuss­ter wer­den möchten.

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Schock­the­ra­pie

Es ist soweit, ich habe zur Zeit mei­nen ers­ten Durch­hän­ger. Abge­se­hen davon, dass ich mich nicht in gewünsch­tem Maße auf Spa­nisch arti­ku­lie­ren kann (das dau­ert wohl noch 1–2 Mona­te), ner­ven mich grad eini­ge Din­ge hier.

Zunächst ist alles ziem­lich lari­fa­ri. Wenn man etwas münd­lich aus­macht, dann heißt das noch lan­ge nicht, dass man eine fes­te Ver­ab­re­dung hat. Außer­dem funk­tio­niert auch nichts auf Anhieb, bei allem muss man nach­ha­ken und mehr­mals hingehen.

Außer­dem schei­nen die Argen­ti­ni­er durch die Bank weg ADS zu haben. Die Leu­te sind sehr selbst­be­wusst, was eigent­lich ange­nehm ist. Das zeich­net sich aber auch in kom­mu­ni­ka­ti­ven Situa­tio­nen dadurch aus, dass alle immer durch­ein­an­der reden und kei­ner sich auf den ande­ren kon­zen­triert oder zuhört.

Zusätz­lich habe ich Schwie­rig­kei­ten mit den Ess­ge­wohn­hei­ten, und das auf eigent­lich absur­de Art und Wei­se. Das Essen ist hier näm­lich im All­ge­mei­nen sehr gut. Empa­na­das, Locro, Humi­t­as, Tama­le, Dul­ce de leche, Fleisch… Ich habe noch nichts geges­sen, was mir nicht geschmeckt hat. Aller­dings wird hier nicht nur zwei­mal am Tag warm geges­sen, was ich für abso­lut unnö­tig hal­te, son­dern abends isst man erst um 22 Uhr, manch­mal auch später.

Die­se Tat­sa­che ist erst zum Pro­blem gewor­den, seit ich in einer argen­ti­ni­schen WG woh­ne. Denn die bei­den sind sehr lieb und wol­len immer für mich mit­ko­chen, aller­dings zu total unmög­li­chen Zei­ten. Meis­tens hab ich schon vor­her Hun­ger und will dann aber nicht kochen, weil es ja ego­is­tisch wäre, wenn ich nur für mich koche. Also esse ich dann nur ein Brot, was sie für äußers­te Man­gel­er­näh­rung halten.

Auch geht die Nett­heit all­zu oft ins Extrem: Ich habe von Anfang an kate­go­risch Nach­ti­sche und Süß­ge­trän­ke abge­lehnt und gesagt, dass ich das nicht so ger­ne kon­su­mie­re (was eine glat­te Lüge war). Doch wenn man ein­mal Gefal­len an etwas aus­ge­drückt hat, bekommt man es stän­dig und in Über­maß vor­ge­setzt. Und wenn man es dann ablehnt, ist das unhöflich.

Gene­rell ist es hier nicht so sau­ber und auch die Hemm­schwel­le ist ein biss­chen höher als bei uns. Bei­spiels­wei­se soll­te man sich immer Klo­pa­pier auf öffent­li­che Toi­let­ten mit­neh­men. Wer also eine süd­ame­ri­ka­ni­sche Putz­frau hat, soll­te sich über ihre unzu­frie­den­stel­len­de Rei­ni­gung lie­ber nicht wun­dern – son­dern es hinnehmen.

Dass der Kul­tur­schock, den ich zur Zeit habe, ein­tref­fen wür­de, war mir schon vor­her klar. Jetzt muss ich es nur so schnell wie mög­lich schaf­fen, dar­über hin­weg zu kom­men und die guten Sei­ten zu sehen, die gibt es näm­lich zuhauf. Zum Bei­spiel sit­ze ich im Moment in einem Café mit WiFi, ich habe nichts bestellt und die Bedie­nun­gen ner­ven mich nicht mit andau­ern­dem Nach­fra­gen, son­dern sind auch noch freund­lich zu mir. Das ist hier halt so.

Auch an der Super­markt­kas­se muss man sich nicht mit dem Tüten­pa­cken abhet­zen, son­dern soll­te es im Gegen­teil lie­ber nicht eilig haben, weil die Kas­sie­re­rIn­nen mega­lang­sam sind. Und mit mega­lang­sam mei­ne ich: auch wenn nur eine Per­son mit vier Sächel­chen vor einem an der Kas­se ist, kann es bis zu 10 Minu­ten (!) dau­ern. Da ich es aller­dings sel­ten eilig habe, ist das okay.

Macht euch also kei­ne Sor­gen, mei­ne Genervt­heit ist ganz nor­mal, und wenn ich wie­der zurück­kom­me, wer­de ich mich nur noch an die guten Din­ge erinnern.

P.S.: Ist es zu glau­ben, dass mei­ne Mit­be­woh­ner sowohl in But­ter gebräun­te Sem­mel­brö­sel als auch gebra­te­ne Würs­te ver­schmä­hen, ja sogar eklig finden????

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¡Dage­gen!

Ich wur­de zwar schon vor­ge­warnt, aber jetzt ist es mir auch auf­ge­fal­len: Die Argen­ti­ni­er pro­tes­tie­ren wirk­lich gegen alles. Ständig ist irgend­wo ein Streik, eine Demo oder eine Pro­test­ver­an­stal­tung. In der letz­ten Woche waren es bei­spiels­wei­se die Stu­die­ren­den der Facul­tad de Filosofía y Letras, die einen Auf­stand mach­ten, weil das Dach der Fakultät ein­ge­stürzt ist und kei­ner die Infos wei­ter­lei­tet, wann denn nun wei­ter­stu­diert wer­den kann. Außer­dem streik­te auch die Poli­zei, die mehr Lohn woll­te (wahr­schein­lich berechtigterweise).

Die Öffent­lich­keit stört sich nicht wei­ter dran, son­dern fin­det das Gan­ze in Ord­nung (wahr­schein­lich, weil man selbst ger­ne streikt).

Auf der einen Sei­te ist es natür­lich toll, dass die Argen­ti­ni­er so lei­den­schaft­lich für ihre Rech­te ein­tre­ten. Auf der ande­ren Sei­te liegt dadurch ein gro­ßer Teil des öffent­li­chen Lebens oft lahm, sodass sich das Land meist selbst im Weg steht.

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Gewis­sens­fra­ge

Zur Zeit bin ich auf Woh­nungs­su­che. Ich habe einer­seits die Opti­on, in eine WG zu zie­hen, wobei sich die Suche eini­ger­ma­ßen schwie­rig gestal­tet: die meis­ten Zim­mer sind zwar ziem­lich güns­tig, aber dafür müss­te ich sie mir mit einer ande­ren Per­son tei­len. Ich schlie­ße die Mög­lich­keit zwar nicht aus, doch noch ein Ein­zel­zim­mer zu fin­den, aber sicher ist das nicht.

Auf der ande­ren Sei­te könn­te ich sofort bei einer Fami­lie ein­zie­hen, die aller­dings einen statt­li­chen Preis für das (rela­tiv klei­ne) Zim­mer ver­langt. Dafür wür­de ich aber in einer Top­ge­gend woh­nen, mit Pool auf dem Dach, Essen und Waschen inklu­si­ve, und mit: Haus­mäd­chen. Und das ist auch der Nach­teil. Wie mir auf­fiel, wur­de die Arme lieb­los her­um­kom­man­diert, mit wenig Inter­es­se an ihrer Person.

Ich könn­te also zwar so ganz pri­ma – auf beque­me Art und Wei­se – die hier­ar­chi­schen Gesell­schafts­struk­tu­ren der Argen­ti­ni­er beob­ach­ten, wäre aber selbst ein Teil der Sei­te, zu der ich eigent­lich nicht gehö­ren möchte.

Gret­chen­fra­ge.