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Das tucu­ma­ni­sche Leben hin­ter­lässt sei­ne Spuren

Man gibt sich in Tucumán nicht mit einer Wochen­end­ak­ti­vi­tät zufrie­den. Am Wochen­en­de war ich also gleich auf vier ver­schie­de­nen Veranstaltungen:

  1. Am Frei­tag war ich mit einer Freun­din in einem Thea­ter­stück mei­ner Deutsch­nach­hil­fe­schü­le­rin. Das Stück hieß „Tur­bio” und es war angeb­lich ein post­dra­ma­ti­sches Stück. Zwar haben wir sprach­lich alles ver­stan­den, die Aus­sa­ge des Stü­ckes blieb uns aber lei­der verborgen.
    Cool war, dass es nur Platz für ca. 30 Zuschau­er gab. Wir saßen im Erd­ge­schoss eines Kul­tur­hau­ses und die Hand­lung fand um uns her­um statt, sodass man sich mit­ten im Gesche­hen befand.
    Ich muss mei­ne Schü­le­rin aber heu­te noch­mal fra­gen, wor­um es in dem Stück eigent­lich ging.
  2. Als ich danach – schon rela­tiv müde – nach Hau­se kam, hat­ten mei­ne Mit­be­woh­ner Besuch von zwei Freun­den. Weil ich nicht immer die Spiel­ver­der­be­rin sein woll­te, die dau­ernd früh ins Bett geht, habe ich mich halt noch dazu gesellt. Es wur­de dann auch noch ziem­lich lus­tig, bis 6 Uhr mor­gens haben wir Karao­ke gesun­gen und ein Brett­spiel namens Kampf der Geschlech­ter gespielt.
    Dabei wur­den den Jungs „typisch weib­li­che” Fra­gen gestellt, und den Mädels „typisch männ­li­che”. Die „typisch weib­li­chen” Fra­gen habe ich wei­test­ge­hend nicht ver­stan­den, da es dabei um Rezep­te, Schmin­ke und Kla­mot­ten (wie sexis­tisch!) ging und ich das nöti­ge Fach­vo­ka­bu­lar (noch) nicht habe. Zum Glück muss­te ich die­se Fra­gen aber nicht beantworten.
    Die „typisch männ­li­chen” Fra­gen hin­ge­gen waren Fra­gen zum All­ge­mein­wis­sen, also Geschich­te, Fil­me, Lite­ra­tur und Kunst (wie sexis­tisch!). Es wur­den Din­ge gefragt, die man bei uns schon in der Unter­stu­fe lernt, also zum Bei­spiel was ein Fres­ko ist und wer die Haupt­rol­le in Conan, der Bar­bar spielt. So etwas lernt man hier aller­dings wohl nicht, und so konn­te ich mit Abstand die meis­ten Fra­gen beant­wor­ten, was mir die Bewun­de­rung der Mit­spie­ler ein­brach­te. Dabei waren es wirk­lich kei­ne schwie­ri­gen Fragen!
  3. Am Sams­tag war wie­der Deutsch­stamm­tisch, bei dem sich alle Tucu­ma­nos, die Deutsch spre­chen (also Mut­ter­sprach­ler und Deutsch­ler­ner), tref­fen. Es war sehr schön, da die bei­den Kul­tu­ren sich ver­misch­ten; man unter­hielt sich über deut­sche sowie über argen­ti­ni­sche Gege­ben­hei­ten und ver­glich. Dazu gab es ein Asado.
    Um Mit­ter­nacht hat­te eine Par­ty­gäs­tin Geburts­tag, also wur­de ich (war­um eigent­lich ich?) gebe­ten, die Grup­pe zu einem Geburts­tags­lied („Heu­te kann es reg­nen, stür­men oder schnei­en,…”) zu dirigieren.
    Das ers­te Lied funk­tio­nier­te noch eini­ger­ma­ßen, aber da die Argen­ti­ni­er ja alle unter ADS lei­den, ließ die Auf­merk­sam­keit danach nach und der fol­gen­de Kanon („Viel Glück und viel Segen”) ging mehr oder weni­ger in die Hose. Das tat der Begeis­te­rung aber kei­nen Abbruch und das Geburts­tags­kind ver­drück­te meh­re­re Tränchen.
  4. Da wir auf dem Stamm­tisch haupt­säch­lich jun­ge Leu­te waren, wur­de beschlos­sen, danach noch gemein­sam in ein boli­che (eine Dis­ko) zu gehen. Lei­der ver­teil­ten sich dann dort alle ziem­lich, was sehr scha­de war. Auch waren die Tanz­flä­chen nicht abge­trennt, sodass man  an den Schnitt­stel­len, an denen man sich eini­ger­ma­ßen ver­stän­di­gen konn­te, von meh­re­ren Musik­sti­len laut beschallt wurde.
    Mei­ne ers­te Boli­che-Erfah­rung wird damit auch hof­fent­lich mei­ne letz­te blei­ben. Um vier Uhr – denn da machen die Boli­ches zu – sind wir dann net­ter­wei­se vom Deutsch­leh­rer Die­go nach Hau­se gefah­ren worden.

Und das Wochen­en­de war wohl etwas zu viel, denn seit ges­tern krän­kel ich ein biss­chen mit Hals­weh und Schnupfen.

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Die Kegel­bow­lin­gold­schoo­l­e­r­fah­rung

Zum Trost, weil ich ja am Wochen­en­de ein biss­chen trau­rig war, waren mei­ne Mit­be­woh­ner ges­tern mit mir „al bow­ling”. Das muss man sich als einen Misch­masch aller Kugel-Roll-Kegel-Umschmeiß-Spie­le, die es so gibt, vorstellen.

Vom Bow­ling hat das Gan­ze die Anzahl der Kegel: 10. Außer­dem die Brei­te der Bahn.
Vom Kegeln hat es die Grö­ße der Kugel sowie das Feh­len der Fingerlöcher.

Aber das Schärfs­te ist. Es gibt kei­ne Schnü­re, die die Kegel auto­ma­tisch wie­der auf­stel­len. Son­dern da steht ein Mit­ar­bei­ter auf einer Platt­form über den Kegeln, beob­ach­tet das Spiel durch ein klei­nes Guck­loch, baut die Kegel dann immer wie­der per Hand auf und schickt die Kugel hin­ter­her auf der Roll­spur zurück zum Spieler.

Rüh­rend!

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Schock­the­ra­pie

Es ist soweit, ich habe zur Zeit mei­nen ers­ten Durch­hän­ger. Abge­se­hen davon, dass ich mich nicht in gewünsch­tem Maße auf Spa­nisch arti­ku­lie­ren kann (das dau­ert wohl noch 1–2 Mona­te), ner­ven mich grad eini­ge Din­ge hier.

Zunächst ist alles ziem­lich lari­fa­ri. Wenn man etwas münd­lich aus­macht, dann heißt das noch lan­ge nicht, dass man eine fes­te Ver­ab­re­dung hat. Außer­dem funk­tio­niert auch nichts auf Anhieb, bei allem muss man nach­ha­ken und mehr­mals hingehen.

Außer­dem schei­nen die Argen­ti­ni­er durch die Bank weg ADS zu haben. Die Leu­te sind sehr selbst­be­wusst, was eigent­lich ange­nehm ist. Das zeich­net sich aber auch in kom­mu­ni­ka­ti­ven Situa­tio­nen dadurch aus, dass alle immer durch­ein­an­der reden und kei­ner sich auf den ande­ren kon­zen­triert oder zuhört.

Zusätz­lich habe ich Schwie­rig­kei­ten mit den Ess­ge­wohn­hei­ten, und das auf eigent­lich absur­de Art und Wei­se. Das Essen ist hier näm­lich im All­ge­mei­nen sehr gut. Empa­na­das, Locro, Humi­t­as, Tama­le, Dul­ce de leche, Fleisch… Ich habe noch nichts geges­sen, was mir nicht geschmeckt hat. Aller­dings wird hier nicht nur zwei­mal am Tag warm geges­sen, was ich für abso­lut unnö­tig hal­te, son­dern abends isst man erst um 22 Uhr, manch­mal auch später.

Die­se Tat­sa­che ist erst zum Pro­blem gewor­den, seit ich in einer argen­ti­ni­schen WG woh­ne. Denn die bei­den sind sehr lieb und wol­len immer für mich mit­ko­chen, aller­dings zu total unmög­li­chen Zei­ten. Meis­tens hab ich schon vor­her Hun­ger und will dann aber nicht kochen, weil es ja ego­is­tisch wäre, wenn ich nur für mich koche. Also esse ich dann nur ein Brot, was sie für äußers­te Man­gel­er­näh­rung halten.

Auch geht die Nett­heit all­zu oft ins Extrem: Ich habe von Anfang an kate­go­risch Nach­ti­sche und Süß­ge­trän­ke abge­lehnt und gesagt, dass ich das nicht so ger­ne kon­su­mie­re (was eine glat­te Lüge war). Doch wenn man ein­mal Gefal­len an etwas aus­ge­drückt hat, bekommt man es stän­dig und in Über­maß vor­ge­setzt. Und wenn man es dann ablehnt, ist das unhöflich.

Gene­rell ist es hier nicht so sau­ber und auch die Hemm­schwel­le ist ein biss­chen höher als bei uns. Bei­spiels­wei­se soll­te man sich immer Klo­pa­pier auf öffent­li­che Toi­let­ten mit­neh­men. Wer also eine süd­ame­ri­ka­ni­sche Putz­frau hat, soll­te sich über ihre unzu­frie­den­stel­len­de Rei­ni­gung lie­ber nicht wun­dern – son­dern es hinnehmen.

Dass der Kul­tur­schock, den ich zur Zeit habe, ein­tref­fen wür­de, war mir schon vor­her klar. Jetzt muss ich es nur so schnell wie mög­lich schaf­fen, dar­über hin­weg zu kom­men und die guten Sei­ten zu sehen, die gibt es näm­lich zuhauf. Zum Bei­spiel sit­ze ich im Moment in einem Café mit WiFi, ich habe nichts bestellt und die Bedie­nun­gen ner­ven mich nicht mit andau­ern­dem Nach­fra­gen, son­dern sind auch noch freund­lich zu mir. Das ist hier halt so.

Auch an der Super­markt­kas­se muss man sich nicht mit dem Tüten­pa­cken abhet­zen, son­dern soll­te es im Gegen­teil lie­ber nicht eilig haben, weil die Kas­sie­re­rIn­nen mega­lang­sam sind. Und mit mega­lang­sam mei­ne ich: auch wenn nur eine Per­son mit vier Sächel­chen vor einem an der Kas­se ist, kann es bis zu 10 Minu­ten (!) dau­ern. Da ich es aller­dings sel­ten eilig habe, ist das okay.

Macht euch also kei­ne Sor­gen, mei­ne Genervt­heit ist ganz nor­mal, und wenn ich wie­der zurück­kom­me, wer­de ich mich nur noch an die guten Din­ge erinnern.

P.S.: Ist es zu glau­ben, dass mei­ne Mit­be­woh­ner sowohl in But­ter gebräun­te Sem­mel­brö­sel als auch gebra­te­ne Würs­te ver­schmä­hen, ja sogar eklig finden????

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¡Dage­gen!

Ich wur­de zwar schon vor­ge­warnt, aber jetzt ist es mir auch auf­ge­fal­len: Die Argen­ti­ni­er pro­tes­tie­ren wirk­lich gegen alles. Ständig ist irgend­wo ein Streik, eine Demo oder eine Pro­test­ver­an­stal­tung. In der letz­ten Woche waren es bei­spiels­wei­se die Stu­die­ren­den der Facul­tad de Filosofía y Letras, die einen Auf­stand mach­ten, weil das Dach der Fakultät ein­ge­stürzt ist und kei­ner die Infos wei­ter­lei­tet, wann denn nun wei­ter­stu­diert wer­den kann. Außer­dem streik­te auch die Poli­zei, die mehr Lohn woll­te (wahr­schein­lich berechtigterweise).

Die Öffent­lich­keit stört sich nicht wei­ter dran, son­dern fin­det das Gan­ze in Ord­nung (wahr­schein­lich, weil man selbst ger­ne streikt).

Auf der einen Sei­te ist es natür­lich toll, dass die Argen­ti­ni­er so lei­den­schaft­lich für ihre Rech­te ein­tre­ten. Auf der ande­ren Sei­te liegt dadurch ein gro­ßer Teil des öffent­li­chen Lebens oft lahm, sodass sich das Land meist selbst im Weg steht.

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Wie wir erst nicht in den Zir­kus konn­ten, und dann doch

Für alle, die sich schon Sor­gen gemacht haben, weil sie ein paar Tage nichts mehr von mir gehört haben: Mir geht es gut! Ich habe ein Zim­mer gefun­den, und woh­ne jetzt im Stadt­zen­trum von Tucumán. Mei­ne Mit­be­woh­ner sind unheim­lich nett und woll­ten mich schon gleich am ers­ten Wochen­en­de zu ihrer Fami­lie mit­neh­men. Ihre Kusi­ne wird näm­lich 15 und das wird bei den Mäd­chen hier ganz groß gefei­ert, weil es den Ein­tritt in ihre Frau­lich­keit dar­stellt. Und – ganz argen­ti­nisch – fängt die Par­ty erst um Mit­ter­nacht an. Dies­mal bin ich nicht mit­ge­kom­men, aber so wie ich die bei­den ein­schät­ze, wer­den sie mich jetzt wohl öfter nach Sant­ia­go zu ihrer Fami­lie mitnehmen.

Übri­gens ist mein Zim­mer recht geräu­mig und die bei­den wol­len, dass alle mei­ne Besu­che­rIn­nen bei mir schla­fen, weil „die Aus­län­der hier in den Hotels immer abge­zockt wer­den”. Wer mich also besu­chen will: ich hab ein bis zwei Bet­ten frei.

Was soll denn nun die Über­schrift die­ses Arti­kels bedeu­ten? Fol­gen­des: Wir woll­ten am Frei­tag in den Zir­kus gehen. Unse­re Gut­schei­ne, die uns ver­bil­lig­ten Ein­tritt ver­schaf­fen soll­ten, hat­ten aber kei­ne Gül­tig­keit für die Vor­stel­lung. Also waren wir etwas unschlüs­sig und sind dann ein­fach noch auf ein Getränk ins Zen­trum. Da war es schon 23 Uhr.

Um Mit­ter­nacht bekam mein Mit­be­woh­ner eine SMS von einem Freund, dass es eine Pri­vat­par­ty gäbe, das Ver­klei­dungs­mot­to: Zir­kus! Wir also nach Hau­se, um uns irgend­wie zir­kus­mä­ßig anzu­zie­hen und zu schmin­ken. Da war es dann halb eins. Ich dach­te, hal­be Stun­de fer­tig­ma­chen, dass wir um eins auf der Par­ty sind. Aber da hab ich ver­ges­sen, dass ich in Argen­ti­ni­en bin. Mei­ne Mit­be­woh­ne­rin schmink­te uns alle so kunst­fer­tig, dass wir hin­ter­her jeden Kos­tüm­wett­be­werb gewon­nen hät­ten. Das dau­er­te aller­dings auch sei­ne Zeit. Um halb vier waren wir dann schließ­lich auf der Par­ty, dem­entspre­chend waren wir auch um 8 Uhr mor­gens erst wie­der daheim. Wenn das jetzt so wei­ter­geht, geh ich nach vier Mona­ten auf jeden Fall auf dem Zahnfleisch.

Die Par­ty war übri­gens sehr inter­es­sant. Man merkt, dass die Leu­te Rhyth­mus im Blut haben. Ich muss­te mich von der deut­schen Tanz­wei­se, die eher stamp­fend Rich­tung Boden geht, erst­mal los­lö­sen und mich der latein­ame­ri­ka­ni­schen Wei­se anpas­sen. Mein Tipp: ein­fach immer mit dem Hin­tern wackeln, erst wenn man sich tie­risch einen abschwitzt, macht man es rich­tig. Auch die eher indi­vi­du­ell in sich gekehr­te Art zu tan­zen (jeder tanzt für sich allein), kann man hier ver­ges­sen. Ich kam mir auf jeden Fall sehr plump vor.

Die lus­tigs­te Sze­ne des Abends war aber, als wir drei zur Par­ty los­mach­ten. Wir hiel­ten ein Taxi an und stie­gen ein. Der Taxi­fah­rer dreh­te sich um, und schau­te uns kon­ster­niert an (wegen unse­rer Ver­klei­dung). Schwei­gen. Aber dann durch­brach mein Mit­be­woh­ner die Stil­le und sag­te: „Zum Zir­kus bitte!”