Auch wenn das Semester (kurioserweise auf dieser Seite der Erde ja das Wintersemester) schon langsam dem Ende entgegenstrebt, war heute – dank eingestürztem Dach der Fakultät – endlich die erste Sitzung eines Seminars, das Studierenden höherer Semester einen Überblick in die deutsche Kultur, Sprache und Literatur geben soll. Das Seminar schließt ein bisschen Sprachunterricht mit ein, sodass am Ende ein A1-Sprachniveau erreicht ist.
Dabei fiel mir wieder auf, wie unmöglich man etwas Ungreifbares sprachlich vermitteln kann, wenn die Leute es nicht selbst erlebt haben. Wie würdet ihr zum Beispiel jemandem die Schuldgefühle erklären, die alle Deutschen dank Schulbildung und Medien wegen des Nazi-Regimes plagen? Es glaubt mir hier niemand, wenn ich als Mittzwanzigerin peinlich berührt von meiner nationalen Geschichte bin, die über 40 Jahre vor meiner Geburt passiert ist.
Dennoch habe ich öfter das Gefühl, dass die Menschen in Argentinien wenigstens ungefähr nachvollziehen können, worum es geht; auch hier hat man mit den Militärdiktaturen eine zumindest in Ansätzen vergleichbare Vergangenheit hinter sich.
Und auch den Unterschied in der deutschen Mentalität zwischen Ost und West kann man nur schwer anschaulich darlegen, schon gar ohne die Wörter „Kommunismus” und „Kapitalismus” in den Mund zu nehmen. Auf diese Gemeinplätze greift man jedoch meist verzweifelt zurück, was das Verständnis der Zuhörenden allerdings oftmals auf Klischees reduziert.
Unsere Wesensart ohne die Nazis und die Wende zu erklären, das scheint genauso unmöglich, wie eine Wendeltreppe zu beschreiben, ohne die Hände zu benutzen.
In den kommenden Sitzungen werden wir versuchen, mit Filmen, Musik und Literatur vor allem diese beiden Aspekte der deutschen Mentalität zu veranschaulichen. Denn anders ist es kaum möglich, wenn man die Deutschen nicht selbst erlebt hat.