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Fast schon flüs­si­ge Luft

Eine klei­ne Demons­tra­ti­on, damit ihr euch vor­stel­len könnt, wie die Wet­ter­ver­hält­nis­se hier so sind:

Ich sit­ze gemüt­lich im Bett und esse zu Mit­tag, da sehe ich, dass es beim Aus­at­men aus mei­nem Mund her­aus­dampft. Mich wun­dert das, denn mein Essen ist eigent­lich gar nicht so heiß. Doch auch ohne Nudeln im Mund dampft es beim Hau­chen. Ein Blick auf das Hygro­me­ter sagt mir, dass wir heu­te 75% Luft­feuch­tig­keit haben. Das ist für tucu­ma­ni­sche Ver­hält­nis­se eigent­lich nicht hoch, aber anschei­nend tun die nied­ri­gen Tem­pe­ra­tu­ren ihr übriges.

Ist aber halb so schlimm, denn außer bei Aus­at­men hat es kei­ne Aus­wir­kun­gen auf den Kör­per. Der Wäsche gehts da schon schlech­ter, sie braucht vier Tage zum Trocknen.

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Die unbe­schreib­li­che Wesens­art des Seins

Auch wenn das Semes­ter (kurio­ser­wei­se auf die­ser Sei­te der Erde ja das Win­ter­se­mes­ter) schon lang­sam dem Ende ent­ge­gen­strebt, war heu­te – dank ein­ge­stürz­tem Dach der Fakul­tät – end­lich die ers­te Sit­zung eines Semi­nars, das Stu­die­ren­den höhe­rer Semes­ter einen Über­blick in die deut­sche Kul­tur, Spra­che und Lite­ra­tur geben soll. Das Semi­nar schließt ein biss­chen Sprach­un­ter­richt mit ein, sodass am Ende ein A1-Sprach­ni­veau erreicht ist.

Dabei fiel mir wie­der auf, wie unmög­lich man etwas Ungreif­ba­res sprach­lich ver­mit­teln kann, wenn die Leu­te es nicht selbst erlebt haben. Wie wür­det ihr zum Bei­spiel jeman­dem die Schuld­ge­füh­le erklä­ren, die alle Deut­schen dank Schul­bil­dung und Medi­en wegen des Nazi-Regimes pla­gen? Es glaubt mir hier nie­mand, wenn ich als Mitt­zwan­zi­ge­rin pein­lich berührt von mei­ner natio­na­len Geschich­te bin, die über 40 Jah­re vor mei­ner Geburt pas­siert ist.

Den­noch habe ich öfter das Gefühl, dass die Men­schen in Argen­ti­ni­en wenigs­tens unge­fähr nach­voll­zie­hen kön­nen, wor­um es geht; auch hier hat man mit den Mili­tär­dik­ta­tu­ren eine zumin­dest in Ansät­zen ver­gleich­ba­re Ver­gan­gen­heit hin­ter sich.

Und auch den Unter­schied in der deut­schen Men­ta­li­tät zwi­schen Ost und West kann man nur schwer anschau­lich dar­le­gen, schon gar ohne die Wör­ter „Kom­mu­nis­mus” und „Kapi­ta­lis­mus” in den Mund zu neh­men. Auf die­se Gemein­plät­ze greift man jedoch meist ver­zwei­felt zurück, was das Ver­ständ­nis der Zuhö­ren­den aller­dings oft­mals auf Kli­schees reduziert.

Unse­re Wesens­art ohne die Nazis und die Wen­de zu erklä­ren, das scheint genau­so unmög­lich, wie eine Wen­del­trep­pe zu beschrei­ben, ohne die Hän­de zu benutzen.

In den kom­men­den Sit­zun­gen wer­den wir ver­su­chen, mit Fil­men, Musik und Lite­ra­tur vor allem die­se bei­den Aspek­te der deut­schen Men­ta­li­tät zu ver­an­schau­li­chen. Denn anders ist es kaum mög­lich, wenn man die Deut­schen nicht selbst erlebt hat.

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Beim Zoll

Die Müh­len der Demo­kra­tie mah­len hier auch nicht schnel­ler als in Deutsch­land. Beim Zoll hat man sogar das Gefühl, dass die Müh­len drin­gend mal wie­der geölt wer­den sollten.

Genau da muss­te ich näm­lich die­se Woche hin, weil wir aus Deutsch­land eine Ladung Bücher bekom­men haben, um den Hand­ap­pa­rat zu erwei­tern. Da in Argen­ti­ni­en sehr hohe Ein­füh­rungs­ge­büh­ren erho­ben wer­den, muss jedes grö­ße­re Paket erst ein­mal durch den Zoll.

Fol­gen­der­ma­ßen läuft das ab:

  1. Man bekommt einen Lie­fer­schein, dass das Paket da ist.
  2. Zu einer bestimm­ten Zeit (ca. 4h in der Woche) ruft man beim Zoll an und mel­det sich für die nächs­te Öff­nungs­zeit an.
  3. Man geht mit der Benach­rich­ti­gung und dem Pass zur Sprech­stun­de zum Zoll in ein klei­nes Büro im vier­ten Stock, wo ein Mann sitzt, der defi­ni­tiv – sei­ner Grum­me­lig­keit und sei­ner Arbeits­ein­stel­lung nach zu urtei­len – deut­sche Beam­ten als Vor­fah­ren hat. Die­ser über­prüft die Daten, nimmt das Paket unter den Arm und zusam­men mar­schiert man ein Stock­werk tie­fer. Meist ver­sucht der Mensch, ein paar Pesos „Gebüh­ren” zu kas­sie­ren; man soll­te beharr­lich blei­ben und die­se „Gebüh­ren” nicht bezahlen.
  4. Man war­tet, bis man auf­ge­ru­fen wird.
  5. Das Paket wird geöff­net und der innen befind­li­che Lie­fer­schein wird auf Kor­rekt­heit überprüft.
  6. Das Paket wird wie­der zuge­macht und man geht…
  7. …mit dem Lie­fer­schein zur Uni­ver­si­tät (in unse­rem Fall), wo eine Dame eine Beschei­ni­gung aus­stellt und noch ande­re For­ma­li­tä­ten erledigt.
  8. Eini­ge Zeit spä­ter kann man sich mit dem abge­seg­ne­ten Lie­fer­schein wie­der der glei­chen Pro­ze­dur unter­zie­hen, also:
  9. beim Zoll anrufen,
  10. in den vier­ten Stock gehen,
  11. mit dem Mann und dem Paket in den drit­ten Stock gehen,
  12. war­ten.
  13. Und dann – wenn man Glück hat – darf man das Paket mitnehmen.

Das Gan­ze wird noch etwas kom­pli­zier­ter, wenn eine ande­re Per­son die Lie­fe­rung abho­len soll. Außer­dem ging es bei uns rela­tiv rei­bungs­los, weil es sich nur um Bücher han­del­te und außer­dem auch mit der Uni­ver­si­tät eine staat­li­che Insti­tu­ti­on mit im Spiel war. Zusätz­lich muss man nor­ma­ler­wei­se noch einen gewis­sen Pro­zent­satz des Paket­wer­tes an Steu­ern bezahlen.

Also bit­te, schickt mir kei­ne Pakete!

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War­um man mich heu­te für kri­mi­nell hielt

Ich war vor­hin im Super­markt, weil ich noch ein paar Ein­käu­fe für mei­ne mor­gi­ge Rei­se nach Til­ca­ra machen wollte.

Dass ich mich an der Kas­se immer mit Hän­den und Füßen gegen die Plas­tik­tü­ten weh­ren muss, die mir die Kas­sie­re­rIn­nen auf­zwän­gen wol­len, bin ich mitt­ler­wei­le gewöhnt. Auch dar­an, dass ich auf mein vehe­men­tes Kopf­schüt­teln und mein „No nece­si­to una bol­sa, quie­ro pro­te­ger la natu­ra­le­za” („Ich brau­che kei­ne Tüte, ich will die Natur schüt­zen”) hin immer merk­wür­dig ange­schaut wer­de. Und ich mache mir auch nichts mehr draus, dass mei­ne Jute­ta­sche (auf der sogar Wer­bung des DAADs für das Stu­di­um in Deutsch­land steht) miss­trau­isch beäugt wird.

Aber vor­hin wur­de ich dank mei­nes Umwelt­be­wusst­seins sogar für kri­mi­nell gehal­ten. Als ich näm­lich schon durch den Kas­sen­be­reich durch war, und gera­de mei­ne Ein­käu­fe in mei­nem Arse­nal an mit­ge­brach­ten Taschen ver­stau­en woll­te, wur­de ich vom Super­markt­secu­ri­ty­mann ange­spro­chen. Er woll­te ger­ne mal mei­nen Kas­sen­bon sehen. Aus­gie­big über­prüf­te er, ob auch wirk­lich alle mei­ne Pro­duk­te auf dem Zet­tel stan­den. Da ich mir natür­lich kei­ner Schuld bewusst war, woll­te ich ger­ne wis­sen, was das Pro­blem sei. Er frag­te mich, war­um ich denn mei­ne Sachen nicht in Plas­tik­tü­ten gepackt hätte.

Da konn­te ich mal wie­der nur schul­ter­zu­ckend ant­wor­ten: „Quie­ro pro­te­ger la naturaleza.”

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Das tucu­ma­ni­sche Leben hin­ter­lässt sei­ne Spuren

Man gibt sich in Tucumán nicht mit einer Wochen­end­ak­ti­vi­tät zufrie­den. Am Wochen­en­de war ich also gleich auf vier ver­schie­de­nen Veranstaltungen:

  1. Am Frei­tag war ich mit einer Freun­din in einem Thea­ter­stück mei­ner Deutsch­nach­hil­fe­schü­le­rin. Das Stück hieß „Tur­bio” und es war angeb­lich ein post­dra­ma­ti­sches Stück. Zwar haben wir sprach­lich alles ver­stan­den, die Aus­sa­ge des Stü­ckes blieb uns aber lei­der verborgen.
    Cool war, dass es nur Platz für ca. 30 Zuschau­er gab. Wir saßen im Erd­ge­schoss eines Kul­tur­hau­ses und die Hand­lung fand um uns her­um statt, sodass man sich mit­ten im Gesche­hen befand.
    Ich muss mei­ne Schü­le­rin aber heu­te noch­mal fra­gen, wor­um es in dem Stück eigent­lich ging.
  2. Als ich danach – schon rela­tiv müde – nach Hau­se kam, hat­ten mei­ne Mit­be­woh­ner Besuch von zwei Freun­den. Weil ich nicht immer die Spiel­ver­der­be­rin sein woll­te, die dau­ernd früh ins Bett geht, habe ich mich halt noch dazu gesellt. Es wur­de dann auch noch ziem­lich lus­tig, bis 6 Uhr mor­gens haben wir Karao­ke gesun­gen und ein Brett­spiel namens Kampf der Geschlech­ter gespielt.
    Dabei wur­den den Jungs „typisch weib­li­che” Fra­gen gestellt, und den Mädels „typisch männ­li­che”. Die „typisch weib­li­chen” Fra­gen habe ich wei­test­ge­hend nicht ver­stan­den, da es dabei um Rezep­te, Schmin­ke und Kla­mot­ten (wie sexis­tisch!) ging und ich das nöti­ge Fach­vo­ka­bu­lar (noch) nicht habe. Zum Glück muss­te ich die­se Fra­gen aber nicht beantworten.
    Die „typisch männ­li­chen” Fra­gen hin­ge­gen waren Fra­gen zum All­ge­mein­wis­sen, also Geschich­te, Fil­me, Lite­ra­tur und Kunst (wie sexis­tisch!). Es wur­den Din­ge gefragt, die man bei uns schon in der Unter­stu­fe lernt, also zum Bei­spiel was ein Fres­ko ist und wer die Haupt­rol­le in Conan, der Bar­bar spielt. So etwas lernt man hier aller­dings wohl nicht, und so konn­te ich mit Abstand die meis­ten Fra­gen beant­wor­ten, was mir die Bewun­de­rung der Mit­spie­ler ein­brach­te. Dabei waren es wirk­lich kei­ne schwie­ri­gen Fragen!
  3. Am Sams­tag war wie­der Deutsch­stamm­tisch, bei dem sich alle Tucu­ma­nos, die Deutsch spre­chen (also Mut­ter­sprach­ler und Deutsch­ler­ner), tref­fen. Es war sehr schön, da die bei­den Kul­tu­ren sich ver­misch­ten; man unter­hielt sich über deut­sche sowie über argen­ti­ni­sche Gege­ben­hei­ten und ver­glich. Dazu gab es ein Asado.
    Um Mit­ter­nacht hat­te eine Par­ty­gäs­tin Geburts­tag, also wur­de ich (war­um eigent­lich ich?) gebe­ten, die Grup­pe zu einem Geburts­tags­lied („Heu­te kann es reg­nen, stür­men oder schnei­en,…”) zu dirigieren.
    Das ers­te Lied funk­tio­nier­te noch eini­ger­ma­ßen, aber da die Argen­ti­ni­er ja alle unter ADS lei­den, ließ die Auf­merk­sam­keit danach nach und der fol­gen­de Kanon („Viel Glück und viel Segen”) ging mehr oder weni­ger in die Hose. Das tat der Begeis­te­rung aber kei­nen Abbruch und das Geburts­tags­kind ver­drück­te meh­re­re Tränchen.
  4. Da wir auf dem Stamm­tisch haupt­säch­lich jun­ge Leu­te waren, wur­de beschlos­sen, danach noch gemein­sam in ein boli­che (eine Dis­ko) zu gehen. Lei­der ver­teil­ten sich dann dort alle ziem­lich, was sehr scha­de war. Auch waren die Tanz­flä­chen nicht abge­trennt, sodass man  an den Schnitt­stel­len, an denen man sich eini­ger­ma­ßen ver­stän­di­gen konn­te, von meh­re­ren Musik­sti­len laut beschallt wurde.
    Mei­ne ers­te Boli­che-Erfah­rung wird damit auch hof­fent­lich mei­ne letz­te blei­ben. Um vier Uhr – denn da machen die Boli­ches zu – sind wir dann net­ter­wei­se vom Deutsch­leh­rer Die­go nach Hau­se gefah­ren worden.

Und das Wochen­en­de war wohl etwas zu viel, denn seit ges­tern krän­kel ich ein biss­chen mit Hals­weh und Schnupfen.